Die Kenntnis der Moderne, Fantasie und Intuition, Gestaltungskraft, Originalität und die Freude am Entdecken und Sammeln sind die Grundlagen, aus denen sich die künstlerische Arbeit von  Anna-Jutta Pietsch speist. Direkte Vorbilder für ihre Kunst lassen sich nicht ausmachen. So finden sich Elemente von Art Brut, von Arte Povera, von Dada, Surreales und Elemente außereuropäischer Kunst in ihrem Schaffen. Die Initialzündung zum künstlerischen Tun gaben ihr Workshops für Action-Painting. Sie wirkten wie ein befreiender Prozess und ermutigten sie, ihren Ideen Form und Gestalt zu geben. Doch Malerei war für sie kein gangbarer Weg zur eigenen künstlerischen Tätigkeit. In der Folge hat sie die „Action-Paintings“ zerschnitten und umgestaltet zu Papiercollagen – so fanden sie eine neue ästhetische Bestimmung. . Fragmentiertes zu sammeln und als Collage neu zusammenfügen, war der Beginn ihrer individuellen Kunstsprache. Doch bald war es nicht mehr das Papier, das als Ausdrucksträger diente, sondern Materialien mit sinnlicherem, haptischem Charakter: In wertlosen gebrauchten Dingen wie  verschlissenen Stoffstücken, geflickten Rupfensäcken, weggeworfenen Regenschirmen oder alten Handschuhen entdeckte Anna-Jutta Pietsch die Schönheit der ausgesonderten, überflüssig gewordenen Produkte unserer Konsumwelt und eine dem Material innewohnende Poesie. Vor allem ein im englischen Garten gefundener Arbeitshandschuh war ein wesentlicher Impuls  zur Gestaltung ihrer ganz persönlichen surrealen Bildwelt. Unbewusst begab sie sich so auf die Spuren von Max Klinger, einem Maler und Grafiker des ausgehenden19. Jahrhunderts, der ebenfalls der Magie eines verlorenen Handschuhs erlegen war. Im Alter von 21 Jahren schuf er den wunderbar skurrilen grafischen Zyklus „Phantasien über einen gefundenen Handschuh, der Dame, die ihn verlor, gewidmet“. Abgelegte Gegenstände mit starken Gebrauchsspuren, gefundenes und gesammeltes textiles Material inspirieren die Künstlerin bis heute. Daraus entwickelt sie Textilkollagen mit reliefartigem Charakter und gestaltet großformatige Plastiken. Aus bereits entsorgten, wertlosen Werkstoffen schafft sie eine eigene, magische  Welt, bevölkert mit menschlichen Gestalten, außerirdischen Erscheinungen, anthropomorphen Fabelwesen  und wilden Tieren. Faltige Sackwesen erinnern an die Fetische in traditionellen afrikanischen Kulturen. Elegante Handschuhgesichter zeigen ausgeprägte Charaktere: Sie sind eitel und hochnäsig oder exzentrisch, manchmal auch brav und harmlos. Menschenvögel stolzieren würdig durchs Bild und Raubtiere setzen zum Sprung an. Die Skulpturen, meist menschenähnliche Figuren, haben erst in den letzten Jahren in ihr Werk Einzug genommen. Sie präsentieren sich mit tänzerischem Schwung, modisch elegant wie Mannequins oder wie ihre verlotterten Verwandten, die Vogelscheuchen. Die Wesen von Anna Jutta Pietsch sind surreal, skurril, humorvoll und doppelbödig, denn unter ihrer oft amüsanten Oberfläche fließt ein dunkler, bedrohlicher Strom.