Der unterirdische Strom
Märchen haben für mich von Anfang an eine große Rolle gespielt. Mein Vater las sie mir
mit seiner schönen, ein wenig traurigen Stimme vor. Wenn ich manchmal über meine Art des
Bildermachens nachdenke, fällt mir besonders das Märchen von den durchgetanzten Schuhen
ein. Die zwölf Töchter des Königs gehen nachts heimlich durch eine Falltür über unterirdische
Gänge zu einem Palast, in dem sie sich mit zwölf Prinzen treffen und mit ihnen die ganze
Nacht durchtanzen. Morgens schlafen die Prinzessinnen brav in ihren Betten und nur ihre
durchgetanzten Schuhe geben Rätsel auf. Meine Kunst hat nichts mit Prinzen und
Prinzessinnen zu tun. Im Gegenteil. Mit Lumpen und alten Arbeitshandschuhen. Aber sie
geben irgendwie Zeugnis von einem unterirdischen Strom, der in meinem ziemlich rational
verlaufenen Leben mit Studium der Volkswirtschaft, Promotion, Marxlektüre, politischem
Engagement, Kulturmanagement im Gasteig, einer stabilen und geglückten Ehe sozusagen in
der Nacht immer schon still vor sich hin floss, bis er auf einmal in Form von Gedichten zuerst
und dann in skurrilen Bildern an die Oberfläche kam. Dahinter liegt nicht so sehr die Sehnsucht
nach einem anderen Leben, sondern die Lust an einem Doppelleben.
Meine rationale Seite manifestiert sich z.B. auch in unserer Wohnung, wo ich mit aller Macht
nach ästhetischem Wohlklang strebe und wo ich Unordnung nur auf den Schreibtischen, in den
Schubladen, im Keller und im Kammerl ertragen kann.
Ja aber warum dann die Lumpen, die abgewetzten Arbeitshandschuhe, könnte man sich
von außen betrachtet fragen. (Hier verschwand mein Text plötzlich im Computer. Offensichtlich
passt das Reflektieren nicht ins Bild). Ich frage mich das auch gar nicht. Etwas in mir
verwandelt dieses zum Wegwerfen bestimmte Material in widerständige Wesen. Ist es Kritik an
der Wohlstandsgesellschaft? In einem gewissen Sinn könnte man es so sehen. Aber was mich
bewegt, ist eher das Chaotische, das Spiel, die Überraschung, ein etwas unheimliches Lachen,
das jederzeit kippen kann in Schreien, in Wut über die Zustände der inneren und äußeren
Welt, die ja doch allem engagierten Bemühen zum Trotz nur wenig zu ändern sind. Aber das
sind schon zu große Worte, sagt etwas in mir.